Die ständige Klette auf dem Weg des Schreibens
Als Schriftsteller ist mein größter Widersacher nicht das leere Blatt oder die endlose Suche nach der perfekten Formulierung – es ist mein innerer Kritiker. Dieser leise, aber beharrliche Teil von mir hat immer eine Meinung, oft negativ, und ist niemals zufrieden.
Der innere Kritiker betritt die Bühne, sobald ich den Entschluss fasse, mich endlich hinzusetzen und zu schreiben. Besonders schlimm wird es, sobald ich tatsächlich zu schreiben beginne – selbst wenn mein erster Entwurf ein „wildes“ Niederschreiben ist. Nicht nur ich selbst, sondern auch er zweifelt an mir und versucht mich zu überzeugen, dass es doch viel besser und bequemer wäre, einfach aufzugeben. „Das hat doch alles gar keinen Sinn!“, „Das will doch sowieso keiner lesen“ – das sind seine lähmenden Aussagen.
Oft genug, das muss ich gestehen, hat er mich zum Stillstand gebracht. Ich habe auf ihn gehört und seiner Beharrlichkeit nicht standhalten können. Mein erstes Buch schrieb ich mit 26, mein nächstes mit 32, und das darauffolgende erst mit 43. Diese langen Pausen waren sein Werk. Ich habe ihm geglaubt, weil er meine Schwachstellen genau kannte und immer noch kennt. Der innere Kritiker macht uns klein, oft kleiner, als wir uns ohnehin schon fühlen. Und das hält man nicht lange aus, denn wer fühlt sich schon gern und noch dazu freiwillig unzulänglich? Dieses Gefühl ist für uns alle unerträglich!
Doch mit der Zeit habe ich begriffen, dass dieser innere Kritiker nicht mein Feind ist. Vielmehr ist er ein Teil von mir, der – so paradox es klingt – eigentlich nur das Beste will. Sein Ziel ist es, mich genau vor den Misserfolgen zu schützen, die er mir die ganze Zeit prophezeit.
Heute versuche ich, meinem inneren Kritiker mit mehr Gelassenheit zu begegnen und weniger auf ihn zu hören. Nein, es ist nicht einfach. Aber ich habe sehr viel durch ihn über mich gelernt, denn er kann nur auf meine „Schwachstellen“ bauen – in erster Linie auf mangelndes Selbstbewusstsein. Ist dieses Bewusstsein lückenhaft, dringt er wie Wasser durch einen Felsspalt, und aus einem anfänglich harmlosen, fröhlich plätschernden Bächlein wird ein alles überflutender Fluss. Der goldene Weg wäre natürlich die Selbsterkenntnis, aber wer will schon so lange warten?
An manchen Tagen ist der innere Kritiker lauter als an anderen. An diesen Tagen schreibe ich entweder gar nicht – das ist natürlich die bequemere Variante – oder ich schreibe trotz seines ständigen Geplappers einfach weiter. Seine Kraft schöpft er aus seiner Beharrlichkeit. Warum also nicht von ihm lernen und selbst beharrlich werden? Das ist die Lösung, die ich mir im Laufe der Zeit antrainiert habe: einfach weiterschreiben! Jeder Tag ist anders. An manchen Tagen fliegen mir die passenden Wörter nur so zu, an anderen habe ich das Gefühl, ich säße in der ersten Klasse. Ich versuche, mich nicht mehr von diesen Tagesschwankungen beeindrucken zu lassen, denn ich weiß mittlerweile, dass sie etwas vollkommen Natürliches sind und kein Zeichen für: „Sag ich doch! Du kannst gar nicht schreiben!“
Der innere Kritiker ist ein Teil von mir. Ihn zu akzeptieren fällt mir schwer, aber er klebt an mir wie eine Klette, und so nutze ich vorerst den Weg des „Einfach weitermachens“ – und auf längere Sicht natürlich den goldenen Weg der Selbsterkenntnis.