Die folgenden Zeilen haben mich gestern Abend ereilt:
„Liebe Frau Farkas,
heute war der bundesweite Vorlesetag. Ich habe mit 11 anderen Männern und Frauen daran teilgenommen. Jeder hatte fünf Minuten Zeit zum Vorlesen. Ich habe Ihre Heimgeschichten gewählt, was für mich sehr emotional wurde und ich beim Vorlesen mehrmals innehalten musste, weil mich Ihre Worte so sehr berührt hatten. Vor dem Vorlesen hatte ich erklärt, woher ich Sie kenne und warum Sie Heimgeschichten geschrieben haben. Vorgelesen habe ich Ihre Einleitung, dann „Das ist so, Susanna“ und schließlich „Der Tod“. Das war nicht nur für mich, sondern auch für die zumeist älteren Zuhörer sehr bewegend. Vier kamen hinterher und haben sich den Titel abfotografiert, weil sie das Buch kaufen wollten. Das ist bei keinem anderen passiert.“
Was soll ich sagen? Ich bin zutiefst erfreut. Das Buch hat fast drei Jahre lang geschwiegen, und nun platzt es mit voller Wucht in mein Leben. Die Geschichten sind wieder da und sie erinnern mich daran, warum ich sie einst schrieb. Ich wollte Aufmerksamkeit. Nicht nur für mich, sondern auch für die vielen, vielen alten Menschen, die in diesem Buch leben und in den Heimen sind.
Wir leben in eine Zeit, in der wir für alles zur Verantwortung gezogen werden. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns, wenn wir das Wunder der Verdrängung nicht hätten, für alles schämen müssten und vor Schuldgefühlen nicht mehr atmen könnten. So ist es verständlich, dass wir unser Fünkchen freie Zeit nicht damit verbringen wollen, noch mehr Elend zu sehen. Ich verstehe, warum die „Heimgeschichten“ nicht gelesen werden. Und ich bin über jeden Menschen froh und dankbar, der dennoch seinen Blick nicht abwendet und hinschaut.
Ich danke dieser Frau, dass sie sich für mein Buch entscheiden hat und mich damit wieder daran erinnert hat, dass ich eine Verantwortung habe und trage.
Foto: Murok Marci