Retrograd


Meinen Nachnamen zu lesen und auszusprechen ist für alle, die kein ungarisch können, eine Qual. Mein Name lautet Marosvölgyi. Gesprochen hört es sich ungefähr so an: Maroschwöldji.

Um mit meinem Namen nicht immer und immer wieder auffallen zu müssen, habe ich mir den Nachnamen meiner Mutter geschnappt und ihn mir als Künstlername übergestülpt. So heiße ich seit Jahren für alle gut verständlich: Farkas. Diesen Namen kann jeder problemlos lesen und aussprechen.

Aber es gibt natürlich nicht nur das Leben eines Künstlers sondern auch das andere Leben. Das Leben in den Behörden, das Leben für echte, überaus wichtige Unterlagen, die den richtigen Namen fordern. Oder eben das Leben, wenn Handwerker ihr Unheil in der Wohnung treiben und dann für ihr angerichtetes Chaos auch noch ein Protokoll ausfüllen müssen, das ich unterschreiben soll. Natürlich muss ich ihnen meinen richtigen Namen sagen, Farkas wäre eine Lüge.

Nun, was ich aber erzählen möchte, ist folgende Geschichte.

Alles ereignete sich an einem sehr verregneten Tag. Also an jedem beliebigen Tag in diesem August.

„Wir müssen hier dieses Protokoll ausfüllen. Der ist für uns, damit wir wissen, das wir hier waren.“

Diese Formulierung gefiel mir.

„Wie heißen Sie?“, fragte mich nun der sehr junge Heizungsinstallateur. In seiner Hand hielt er einen Kugelschreiber, der irgendwie fremd zwischen seinen Fingern ruhte.

„Oh, es ist besser, wenn ich meinen Namen selbst schreibe, der ist viel zu kompliziert.“, lautete meine Standartantwort. Er gab mir bereitwillig seinen Stift und ich schrieb meinen Namen brav auf seinen Platz. Erst den Nachnamen und dann den Vornamen. Eben so, wie man das in Ungarn macht, denn sobald ich meinen richtigen Namen schreibe, schaltet meinen deutsches Gehirn einfach aus und das ungarische ein.

„Oh, ich habe meinen Namen falschrum geschrieben.“, sagte ich fast schon entschuldigend.

„Macht nichts.“ antwortete er trocken. Dann nahm er den Stift und fragte mich erneut nach meinem Namen. Da ich ihm den Schreiber nicht wieder aus der Hand reißen wollte, antwortete ich:

„Ich buchstabiere.“

„Gut.“, sagte der junge Mann und wartete auf meine Anweisungen.

„Also, ich heiße: M wie Marta, A wie Anton, R wie Richard, O wie Otto, S wie Siegfried, V wie Vogel…“

Hier hielt der junge Mann plötzlich inne und suchte nach meinem Namen, den ich auf den anderen Bogen geschrieben hatte. Er schaute und schrieb dann zögerlich das V wie Vogel hinter Siegfried. Ich buchstabierte weiter.

„Ö wie Öl (was besseres fällt mir nie ein), L wie Ludwig, G wie Gustav, Y wie Y (hier fällt mir auch nie was besseres ein) und ein I wie Ida.“ Am Ende meiner Aufzählung angelangt bemerkte ich, wie die Hand des jungen Mannes erneut vor einem Buchstaben bremste. Es war das Y.

„Ja, wie wird wohl ein Y geschrieben.“, witzelte ich noch als ich ihn tatsächlich fragen hörte:

„Ja, wie wird denn ein Y geschrieben?“

Innerlich schockiert aber äußerlich locker schaute ich ihm in die fragenden Augen und suchte nach einer passenden Antwort, denn was sollte ich ihm antworten? Wie schreibt man denn ein Y? Wie ein Y eben. Und so antwortete ich, zugegeben sehr phantasielos: „Wie ein Y eben geschrieben wird.“

Da ihm meine Antwort nicht sonderlich half, suchte er erneut nach meinem Namen auf dem anderen Zettel. Seine Augen suchten und fanden dann das Y. Hastig schrieb er dann die letzten beiden Buchstaben meines Namens nieder.

Wenn man mich jetzt fragt, was die Moral der Geschichte ist, dann sage ich: es gibt keine Moral. Es ist einfach nur eine kleine Geschichte aus meinem kleinen Alltag. Eine kleine Geschichte, über die ich mich gewundert habe. Aber Fragen habe ich keine. Es ist wie es ist. Die Zeiten ändern sich. Manchmal auch retrograd.

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