Heimgeschichten


Susanna M. Farkas - Heimgeschichten

Heimgeschichten
– alt und im Abseits –

Gespräche mit alten Menschen

mit Fotos von Orsolya Brandt

Verlag 3.0 Zsolt Majsai, 2017

ISBN 978-3-95667-328-3

Das Buch „Heimgeschichten“ in der Presse:

Hamburger Abendblatt

LN-Online

Leseprobe

Hurtig Routen

„Guten Tag, Frau Blume, ich war gerade hier und da dachte ich mir, ich schau mal bei Ihnen vorbei. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“
Frau Blume sitzt in einem Rollstuhl. Im Hintergrund läuft der Fernseher.
„Oh, Frau Blume, geht es Ihnen heute nicht so gut? Sie sehen so traurig aus?“
Frau Blume hat vor knapp einem Jahr ihren Mann verloren. Er verstarb plötzlich. Das Herz wollte seinem Leben keinen Rhythmus mehr geben.
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung.“
Sie verschont mich. Sie spürt meine Eile.
„Sicher?“
„Ja.“
Ich glaube ihr nicht. Ich sehe ihre Trauer. Doch ich muss weiter.
„Gut, dann geh ich wieder. Ich komme morgen wieder vorbei, vielleicht haben Sie dann etwas für mich. Tschüß!“
Ich eile zur Tür im Kopf mit mir schon der nächste Bewohner des Hauses.
„Das wollten wir auch immer.“
Ich bleibe stehen. Ich verstehe sie nicht.
„Was wollten Sie immer, Frau Blume?“
„Den ganzen Tag erzählen sie heute im Fernsehen etwas über die Hurtig Ruten. Das sollte unsere letzte Reise werde. Diese Reise wollten wir noch unbedingt erleben. Doch immer haben wir es auf das nächste Jahr verschoben. Immer. Und nun? Und nun gibt es kein nächstes Jahr mehr für uns. Warum haben wir es nicht sofort gemacht? Warum haben wir so lange gewartet?Nun bin ich allein, weil er einfach gegangen ist. Einfach so! Verstehen Sie? Er hat mich einfach hier gelassen! Das verzeih ich dem Burschen nie!“
Die Wahrheit duldet kein Theater mehr. Sie beginnt laut zu weinen.
Ich eile zu ihr. Ich sage kein Wort lediglich meine Hand versucht ihr Beistand zu vermitteln. Ich streichle ihren Rücken.
„Es tut mir so leid! Ich wollte Sie damit nicht belasten! Immer heul ich Ihnen die Ohren voll. Es tut mir so leid!“
„Sie belasten mich nicht, Frau Blume. Dafür bin ich da. Aus keinem anderen Grund.“
„Es tut so weh! So weh!“
Sie weint.
„Nie! Nie darf man eine Sache verschieben! Nie! Hören Sie? Sie wissen nie, wann sich plötzlich alles ändert! Hören Sie?!“
Sie will, dass ich sie verstehe.
„Ja, Frau Blume, ich verstehe.“

Nach einer Stunde verlasse ich sie.
Klüger.
Theoretisch.

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