Wovor der Mensch Angst hat verbirgt sich (s)eine Aufgabe…oder so…


Vor gar nicht so langer Zeit, als ich wieder einmal auf meiner kleinen Bank in dem Park gleich nebenan saß, bemerkte ich einen Mann. Immer und immer wieder wollte er eine hohe Leiter, die gegen den Stamm eines sehr großen Baumes gelehnt war, hochklettern.
Ich wunderte mich, denn offensichtlich hatte dieser Mann große Angst vor dieser Aufgabe. Mit jeder einzelnen Stufe, die er nach oben schritt, wurde er immer unsicherer und klammerte sich immer fester an die Leiter. Nach vier, manchmal sogar fünf Stufen, gab er dann seinen Kampf auf und kletterte wieder nach unten. Hier blieb er stehen und ich sah, wie er erneut Kraft sammelte. Dann nahm er wieder vorsichtig eine Stufe nach der anderen, um sogleich wieder nach unten zu klettern. Dies widerholte er unzählige Male. Er tat das so oft, dass ich beschloss zu ihm zu gehen und ihn nach dem Grund seines eigenartigen Verhaltens zu fragen.
„Guten Tag mein Herr!“, rief ich dem Mann zu, der nun erneut auf der schwindelerregenden vierten Stufe seiner Leiter stand „Darf ich Sie etwas fragen?“ Von meinem unerwarteten Erscheinen sehr erschrocken, klammerte sich der Mann nun noch krampfhafter an die Leiter als zuvor. Langsam und sehr vorsichtig drehte er seinen Kopf zu mir.
„Was wollen sie von mir?“, fragte er mich leise. Seine Stimme klang unsicher, fast schon schüchtern. „Ich beobachte Sie schon seit einer geraumen Zeit und … und ich wollte nur wissen, was Sie hier machen? Ich sehe, wie Sie die Leiter hinaufklettern wollen, es aber dann nicht schaffen, um dann wieder herunterzuklettern. Warum tun Sie das, mein Herr?“
Der Mann hörte sich meine Frage an, drehte dann seinen Kopf ganz vorsichtig zurück und sagte. „Warten Sie, ich komme lieber zu Ihnen herunter. Unten antworte ich Ihnen gern auf Ihre Frage.“, damit setzte der Mann sich in Bewegung. Es dauerte lange, bis er endlich unten war.
Mit endlich sicherem Boden unten den Füssen stellte er sich neben mich und begann zu erzählen. „Wissen Sie, ich leide unter Höhenangst und ein guter Freund sagte zu mir, dass ich mit der Höhe sicher eine große Aufgabe hätte. Denn hinter allem, wovor der Mensch Angst hat, verbirgt sich eine Aufgabe. Habe ich Angst vor der Höhe, dann habe ich sie nicht nur vor der Höhe, sondern auch vor der Aufgabe, die dahinter steckt. Verstehen Sie? Man müsse an seinen Ängsten arbeiten, indem man immer und immer wieder das tut, wovor man Angst hat. Dann, so sagt er, lösten sie sich langsam auf. Mein Freund wird immer hellhörig, wenn ich vor etwas Angst habe. Dann schmunzelt er immer so geheimnisvoll, so als wüsste er über mich und mein Leben besser Bescheid, als ich selbst. Ja, und damit ich keine Angst mehr vor der Höhe habe, klettere ich auf diese Leiter. Natürlich plagen mich die Angstzustände und ich komme auch noch nicht bis ganz nach oben, aber ich werde es schon schaffen.“
Über diese Erklärung ein wenig verunsichert bedankte ich mich bei dem Mann für seine Aufrichtigkeit und verließ ihn.
Am nächsten Morgen nahm ich meine Katze mit in den Park gleich nebenan. Ich ging mit ihr zum Teich und versuchte verzweifelt, sie ins Wasser zu führen. Doch sie weigerte sich mit aller Kraft: Offensichtlich hatte sie Angst vor dem Wasser.
„Entschuldigen Sie bitte, was machen sie da mit dieser Katze?“, fragte mich der Mann mit seiner Höhenangst empört. „Ich versuche, ihr ihre Angst vor dem Wasser zu nehmen!“, sagte ich und machte Anstalten, sie in den Teich zu werfen.
„Das können Sie doch nicht machen!“, rief er entsetzt „Sie können doch eine Katze nicht ins Wasser schmeißen. Katzen haben doch Angst vor dem Wasser! Wie kann man denn nur so dumm sein! Wer hat sie nur auf diese idiotische Idee gebracht?“

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