Rezension zu Pascal Mercier „Der Klavierstimmer“


Pascal Mercier, ein gnadenloser Fragender

„ Die Fähigkeit, Erzählungen zu verstehen, statt sie nur zu konsumieren, ist die Fähigkeit, sich durch eine Erzählung verwandeln zu lassen: nach der Lektüre nicht mehr ganz der gleiche zu sein wie vorher, weil ich an anderen und mir selbst etwas Neues verstanden habe. Wenn ich diese Erfahrung mit einer Erzählung mache, erlebe ich sie als fesselnd.“

Diese Zeilen stammen aus der Feder der Philosophen Peter Bieri. Bekannt ist dieser Philosoph auch unter dem Namen Pascal Mercier.

Ich selbst habe bis jetzt nur drei seiner Romane („Das Gewicht der Worte“, „Perlmanns Schweigen“ und „Der Klavierstimmer“) gelesen. Dafür innerhalb kurzer Zeit und in Begleitung seiner anderen Bücher („Wie wollen wir leben“; „Das Handwerk der Freiheit“), die er als Philosoph Peter Bieri schrieb.

Das Motiv seiner Romane ist immer gleich. Weg vom falschen Gesicht und somit Leben hin zum richtigen Gesicht und somit Leben.

Die Melodie aber ist immer eine andere. Und das macht seine Romane so unwiderstehlich. Und lehrreich. Denn immer wieder stellt Pascal Mercier dem Leser sie selben Fragen. Immer und immer wieder fragt er: Bist Du Dir sicher, dass Du Dein Leben lebst? Bist Du Dir sicher, dass Deine Worte be-und gelebt und dadurch tatsächlich Deine sind, oder sind sie nur leere, nachgeplapperte Hülsen? Bist Du Dir wirklich sicher, dass Du Dich und Deine tatsächlichen Beweggründe für Dein Wollen und somit Tun kennst? Bist Du Dir sicher, dass Du Dein Leben nicht unbemerkt opferst? Bist Du Dir sicher, dass Du Dich kennst?

Selten habe ich einen so hartnäckigen Autor, der sich selbst und dadurch seine Leser nicht entkommen lässt, erlebt.

Seine Romane sind vom ersten bis zum letzten Atemzug durchkomponiert. Jede einzelne Note wurde bewusst gesetzt. Jede.

In seinem Roman „Der Klavierstimmer“ beschreibt uns der Autor einen Menschen, der in einem Heim aufwuchs und ein Großteil seines Lebens hofft, endlich den großen Durchbruch als Opernkomponist zu schaffen. Dafür sitzt er Tag für Tag, Jahr für Jahr in seinem Arbeitszimmer und komponiert eine Oper nach der anderen. Alle ohne Erfolg. Wie bekannt dürfte doch vielen diese Tragödie aus dem eigenen Leben vorkommen? Wie oft opfert man Lebenszeit um endlich den sättigenden Erfolg zu erzwingen?

Doch er kommt nicht. Und wenn er kommt, dann ist er alles, nur nicht sättigend.

Und plötzlich ist das Leben zu Ende. Aber war es auch das eigene Leben? Der Klavierstimmer erkennt seine Selbsttäuschung. Erkennt, dass das Komponieren eigentlich nie sein Weg war, sondern nur ein Mittel zum Zweck. Er erkennt, dass er nur ein einfacher, wenn auch sehr bekannter, Klavierstimmer ist. Aber was ist mit all den Jahren vor seinem Erkennen? Wo sind sie? Gab es sie überhaupt?

Es ist atemberaubend, wie Pascal Mercier es schafft, die Schwere dieser Tragik zu vermitteln. Nein, es sind nicht seine Worte. Es ist das Wie. Wie er es schafft, die Leben, die uns seitenlang begleiten und sich entfalten, Schritt für Schritt in einem rasanten Tempo komplett zu entleeren, bis zum Schluss fast nichts mehr von ihren Leben übrig bleibt.

Am Ende des Buches fragt man sich verblüfft: Und nun? Was sollte das Ganze? Eigentlich?

Und genau in dieser entstandenen Leere, die sich jetzt im Leser gnadenlos ausbreitet, stellt Pascal Mercier einer unser größten Fragen:

Hat das Leben einen Sinn?

Das Buch war fesselnd.


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