Unverbindlichkeit als gesellschaftliches Phänomen – Eine mögliche Folge der Pandemie?
Ich habe endlich den passenden Begriff zu einem Phänomen der Moderne gefunden.
Unverbindlichkeitskultur.
Fällt es nur mir auf, oder auch anderen? In den letzten Jahren hat sich, so finde ich, eine deutliche Veränderung im Umgang mit Verbindlichkeiten abgezeichnet. Immer häufiger kommt es vor, dass wir Zusagen nicht einhalten, uns kurzfristig umentscheiden oder gar nicht erst antworten. Diese Entwicklung betrifft private Treffen ebenso wie berufliche und soziale Verpflichtungen.
Haben wir dieses Phänomen vielleicht tatsächlich, wie viele Untersuchungen mittlerweile zeigen, der Corona-Pandemie zu verdanken?
Die Pandemie war geprägt von Regeln und Maßnahmen, unser aller Leben wurde stark beeinflussten. Termine und Planungen waren nicht möglich und wenn, dann oft unsicher, da sich Vorgaben und Bedingungen kurzfristig änderten. So haben wir gelernt, flexibel zu bleiben und uns nicht auf langfristige Vereinbarungen zu verlassen. Wir haben gelernt nur auf das Heute zu schauen.
So ist es fast kein Wunder, dass wir weiterhin unsere Entscheidungen bis zum letzten Moment offen lassen. Wir empfinden das als Freiheit. Doch sind wir tatsächlich freier geworden?
Hat diese Haltung nicht doch weitreichende, unangenehme Folgen. Die Abnahme von Verbindlichkeit führt dazu, dass Organisationen, Unternehmen und auch Privatpersonen schwieriger planen können. Veranstalter erleben eine höhere Anzahl von kurzfristigen Absagen, Freundeskreise haben zunehmend Schwierigkeiten, gemeinsame Treffen zu koordinieren, und auch im beruflichen Umfeld nimmt die Verlässlichkeit ab.
Langfristig kann diese Entwicklung zu einem Verlust an sozialer Stabilität führen denn Verbindlichkeit ist doch ein wesentliches Element jeder funktionierenden Gemeinschaft. Wenn Termine nur noch als unverbindliche Vorschläge betrachtet werden, gehen Strukturen verloren, die das Miteinander verlässlich gestalten.
Ich glaube, die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen Flexibilität und Verbindlichkeit zu finden. Einerseits ist es verständlich, dass wir nach der langen Phase der Einschränkungen mehr Entscheidungsfreiheit wünschen. Andererseits ist Verlässlichkeit eine grundlegende Voraussetzung für funktionierende Beziehungen – sowohl im privaten als auch im gesellschaftlichen Kontext.
Es stellt sich die Frage, wie diese Entwicklung in Zukunft verlaufen wird. Wird sich die Unverbindlichkeit als neue gesellschaftliche Norm etablieren, oder wird es eine Gegenbewegung geben, die wieder stärker auf Verlässlichkeit setzt?
Diese Frage bleibt offen, doch eines ist sicher: Gesellschaftliches Zusammenleben basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Ohne ein Mindestmaß an Verbindlichkeit wird es schwierig, langfristige Beziehungen – sei es beruflich, privat oder in der Gemeinschaft – stabil zu halten.
ich nehme das ebenso wahr und hoffe, dass sich bald wieder die Erkenntnis durchsetzt, dass Verbindlichkeit Halt bedeutet und Unverbindlichkeit nicht Freiheit sondern Haltlosigkeit.
LG Albert
Lieber Albert, ja, das hoffe ich auch, obschon die Zeichen nicht ganz unsere Hoffnung nähren. Aber vielleicht richtet sich hier mein Blick nur in die „falsche“ Richtung. Vielleicht lässt mich meine Beobachtung blind dem anderen gegenüber sein.